"Hermännle ist unbeschreiblich lebhaft und intelligent, dabei leidet er an großer Heftigkeit. Er muss sich austoben, sonst kommt er auf Lumpereien und dann kommen Klagen von oben, unten, rechts und links: ,Hermann hat mein Kind gestoßen ! Hermann hat eine Scheibe eingeworfen ! Hermann bewirft die Nachbarskinder mit Steinen !`….Ja, er ist furchtbar lebhaft, rasch, umtriebig und folgt leider nicht".
Der Junge, den seine Mutter hier beschreibt, wird später viele, schöne Bücher schreiben und 1946 den Nobelpreis für Literatur bekommen. Nach seinem Tod 1962 wird er, vor allem durch seinen Roman "Steppenwolf", zur Ikone einer ganzen Generation.
Hermann Hesse wird 1877 im schwäbisch, pietistisch geprägten Calw geboren. Seine Eltern sind beide mit der evangelischen Mission verbunden und haben es nicht leicht mit dem stürmischen Jungen.
Auch Hermann hat Schwierigkeiten sich in der Welt zurecht zu finden, seine Gefühle im Zaum zu halten. Zwischen dem siebten und achtzehnten Lebensjahr wechselt der Junge ständig Schulen und Besserungsanstalten - unter anderem besucht er auch für kurze Zeit die Klosterschule Maulbronn
Lehrjahre in Tübingen
Nach einem Selbstmordversuch 1892 in Bad Boll wird Hesse in die Nervenheilanstalt Stetten im Remstal eingeliefert. Er fühlt sich unverstanden und von aller Welt verlassen. Seine Eltern holen ihn wieder nach Calw und stecken Hermann 1894 in eine Feinmechanikerlehre.
Hesse aber hält es auch hier nur ein gutes Jahr aus, fühlt sich zur Schriftstellerei und Literatur hingezogen und bekommt 1895 eine letzte Chance - beim Buchhändler Heckenhauer am Holzmarkt in Tübingen. Zwölf Stunden am Tag beschäftigt er sich nur mit Büchern und am Feierabend sowie am freien Sonntag auch noch. Das scheint zu wirken - Hermann hält durch und kann die Lehre nach drei Jahren abschließen.
Bis 1899 bleibt er in der Buchhandlung und veröffentlicht in dieser Zeit die ersten zwei literarischen Werke, die "Romantischen Lieder" und die Prosasammlung "Eine Stunde hinter Mitternacht". Im Herbst desselben Jahres siedelt Hesse nach Basel um, wo die Familie Hesse schon von 1881 bis 1886 lebte. Dank der guten Kontakte der Eltern, bekommt der junge Buchhändlergehilfe eine Anstellung in einer angesehenen Buchhandlung und Anschluss an das kulturelle und geistige Leben der Stadt.
Der Schriftsteller und seine "Urbilder"
Zur Jahrhundertwende erscheint sein "Hermann Lauscher" und drei, bzw. vier Jahre später werden "Peter Camendzind" und "Unterm Rad" veröffentlicht. In diesen Romanen beschreibt Hesse seine Jugendjahre. Die Bücher werden wohlwollend besprochen und verkaufen sich recht gut.
Der Grundstein für eine unabhängiges Leben als freier Schriftsteller ist gelegt. Hermann Hesse bleibt produktiv bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Auch bleibt er seinem Stile treu, die Motive seiner Gedichte, seiner Romane und Erzählungen im eigenen Erleben und Erleiden zu suchen. In seinem Werk tauchen immer wieder die "Urbilder" auf, die in seiner Jugend in seine Seele geschrieben wurden:
"Wenn ich als Dichter vom Wald oder vom Fluß, vom Wiesental, vom Kastanienschatten oder Tannenduft spreche, so ist es der Wald um Calw, ist es die Calwer Nagold, sind es die Tannenwälder und Kastanien von Calw, die gemeint sind, und auch Marktplatz, Brücke und Kapelle, Bischofstraße und Ledergasse, Brühl und Hirsauer Wiesenweg sind überall in meinen Büchern, auch in denen, die nicht ausdrücklich sich schwäbisch geben, wiederzuerkennen, denn alle diese Bilder und hundert andre, haben einst dem Knaben als Urbilder Hilfe geleistet, und nicht irgendeinem Begriff von ‚Vaterland', sondern eben diesen Bildern bin ich zeitlebens treu und dankbar geblieben; sie haben mich und mein Weltbild formen helfen, und sie leuchten mir heute noch inniger und schöner als je in der Jugendzeit." (Aus "Gerbersauer Erzählungen", H. Hesse)
Ein Leben lang ein Steppenwolf
Hesses Leben ist gekennzeichnet von massiven Anpassungsschwierigkeiten an ein bürgerliches Leben, gescheiterten Ehen und starken Depressionen. Nur im literarischen Bearbeiten innerlicher Kämpfe und Niederlagen kann Hermann Hesse immer wieder diese schwierigen Lebensumstände bewältigen und nochmal neu anfangen.
Hermann Hesse bleibt sein Leben lang ein Einsamer, ein Steppenwolf, schließt sich keiner Gemeinschaft, keiner Bewegung an und bleibt der Familie fremd.
Litt Hesse an ADHS?
Fünfzig Jahre nach Hesses Tod stellt der Mediziner Detmar Roloff die These auf, Hermann Hesse habe an ADHS gelitten und nur durch sein Schreiben die Symptome bewältigt. Wenn es denn so war, so hat Hermann Hesse seine "Verhaltensauffälligkeit" ganz gut in den Griff bekommen indem er über sie geschrieben hat.
Quellen und Literaturtipps Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Auflage 1977, Mannheim, Bd. 11 Seite 795 Fr-online.de vom 27.5.2011 Gerbersauer Erzählungen |