Johann Christian Friedrich Hölderlin kommt am 20.03.1770 in Lauffen am Neckar zur Welt. Es ist keine arme Familie, in der er am Klosterhof aufwächst.
Sein Vater, Heinrich Friedrich, ist der Verwalter der herzoglichen Güter des ehemaligen Klosters an der Nordheimer Strasse. Er ist Nachfolger des Großvaters Hölderlin.
Die Familie gehört dem gehobenen Bürgertum Württembergs an, sie sind weitläufig versippt und verschwägert. Die Lebenswege der Kinder sind vorgezeichnet, man hilft und fördert sich gegenseitig, heiratet untereinander ein "Bäsle" oder einen Cousin - der Begriff "Vetterleswirtschaft" entsteht. So ist Regina Bardilis gemeinsame Urahnin von Hölderlin, Schiller, Schelling und Mörike.
"Der Schiller und der Hegel, der Uhland und der Hauff, die sind bei uns die Regel, die fallen gar nicht auf."
Früher Tod des Vaters
Hölderlins Vater ist zwölf Jahre älter als seine Mutter, Johanna Christiana, die aus der Pfarrersfamilie Heyn in Cleebronn stammt.
Vier Jahre nach ihrer Heirat 1766 kommt der kleine Fritz als erstes Kind des Paares zur Welt. Kaum zwei Jahre später stirbt der Vater, und vier Wochen nach dessen Tod wird Friedrichs Schwester, Maria Eleonore Heinrike - "die Rike" - geboren.

Die junge Witwe Johanna, sie ist erst 24 Jahre alt, ist ratlos und verzweifelt. Im strengen, schwäbischen Pietismus aufgewachsen und erzogen, findet sie Halt in Ihrem Glauben. Die Melancholie und die Sorge um die Zukunft wird sie ein Leben lang begleiten und überträgt sich auch auf den kleinen Fritz.
Umzug nach Nürtingen
Er ist vier Jahre alt, da heißt es Abschied nehmen von dem Haus in der Nordheimer Strasse in Lauffen. Die Mutter heiratet den Weinhändler und Bürgermeister Johann Christoph Gok aus Nürtingen. Die kleine Familie zieht den Neckar aufwärts in den Schweizerhof an der Neckarsteige. Gok war mit Johannas erstem Mann befreundet, sie kannten sich.
Friedrich wächst behütet auf und 1776, in dem Jahr in dem er eingeschult wird, bekommt er einen Halbbruder, den kleinen Karl Gok.
Auf der Lateinschule in der Marktstrasse lernt er in der Klasse beim Magister Kraz, aber die Eltern meinen: " der Kraz ist ja ein braver Lehrer, aber für´s Stift reicht es nicht". Mit dem Stift ist die evangelische, theologische Fakultät der Universität Tübingen gemeint. Die Eltern stellen daher Nathanael Köstlin, den Diakon der Stadtkirche, als Hauslehrer an. Er kommt zwei Mal in der Woche in den Schweizerhof und paukt mit Friedrich vor allem Griechisch und Latein. Köstlin ist ein guter Lehrer; er kann den Jungen mitreißen durch "seine Sprachkunst und seinen lebendigen Glauben", wie es Peter Härtling in seinem Roman schildert. Auch philosophische und theologische Themen werden besprochen und wenn dem Jungen der Unterricht zu öde und er verstockt wird, singen und musizieren die beiden mit Begeisterung.
Im letzten Jahr auf der Lateinschule lernt Friedrich den Neffen seines Hauslehrers, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling kennen. Schelling ist jünger als Hölderlin und wegen seines umfangreichen Wissens bei den Lehrern beliebt. Seine Mitschüler mögen ihn nicht, diesen altklugen Sonderling, dieses Wunderkind. Fritz aber, der "Hölder", bewundert den Kleinen, der sich so gut auskennt in der sagenhaften Welt der Griechen und Römer. Sie werden Freunde und der Große kann den Kleinen vor den Übergriffen seiner Mitschüler schützen.
Tod von Johann Gok
In Hölderlins Zeit auf der Lateinschule fällt auch der Tod seines zweiten Vaters Johann Gok. Im Winter 1778 kommt es zu einem verheerenden Hochwasser am Neckar. Das Wasser steigt bedrohlich bis in die Gassen der Stadt und Gok muss als Bürgermeister in dieser Nacht die Rettungsarbeiten leiten und koordinieren. Als der Dauerregen aufhört und der Wasserstand nicht weiter steigt, kommt Gok durchnässt und durchgefroren in der Neckarsteige an. Er fiebert und muss lange das Bett hüten. Alle ärztliche Kunst ist vergebens, der Bürgermeister kommt nicht mehr auf die Beine und stirbt im März 1779 an den Folgen seines nächtlichen Einsatzes.
Wieder ist dem Jungen ein Vater gestorben, wieder ist seine Mutter Witwe. Frauen bestimmen von nun an das Leben des gerade mal Neunjährigen: die gutmütige Großmutter Heyn, seine nun ganz der Melancholie verfallende Mutter und seine Schwester, deren Vorbild die beiden Frauen sind. Der einzige Mann in seinem Leben bleibt sein Hauslehrer Köstlin.
Nach dem Wechsel in die niedere Klosterschule Denkendorf 1784, schreibt ihm Friedrich: "…ihre immerwährende, große Gewogenheit und Liebe gegen mich….aufrichtig zu sagen, Sie nicht anders als wie meinen Vater betrachten kann". Zwei Jahre, harte Jahre, stehen Friedrich in Denkendorf bevor.
Es ist kalt, das Essen ist schlecht und der Most "der sauerste weit und breit". Nichts Persönliches dürfen die "Allumnen" mitbringen - das Regelwerk der Schule ist streng, sie tragen alle die filzigen, braunen und kratzigen Kutten, tagaus und tagein. Im Sommer um fünf, im Winter um sechs beginnt ihr Tag und ist angefüllt mit Lernen unter ständiger Aufsicht und mit der Angst im Nacken vor Schlägen und Karzer bei Verstößen gegen die Schulregeln.
Klosterschule Maulbronn
Friedrich hält durch, nicht zuletzt helfen ihm die Freundschaften und gemeinsam ertragen die Freunde diese harte Zeit. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später tritt er mitsamt einiger seiner Mitschüler in die höhere Klosterschule in Maulbronn ein.

Nicht nur der Junge atmet auf, auch seine Mutter ist erleichtert - genauer gesagt um 140 Gulden und 44 Kreuzer. Die Lehrer in Denkendorf sind schlecht bezahlt und um ihren Söhnen das Leben erträglicher zu gestalten, sind die Eltern gezwungen, das Personal zu bestechen. Zwar ist die Witwe mit ihren drei Kindern durch ihr Erbe abgesichert, aber Verarmungsängste plagen sie - sie wird bis an das Ende ihres Lebens über die Ausgaben für ihren Erstgeborenen genau Buch führen.
In Maulbronn ändert sich einiges. Die Schüler sind junge Erwachsene, genießen mehr Freiheiten und nutzen sie auch, wo sie nur können. Die Maulbronner schätzen die jungen Männer, sie bringen Geld und der eine oder andere Vater hofft auf eine gute Partie für seine Tochter.
Auch Friedrich wird fündig - Louise Nast, die Tochter des Klosterverwalters, hat es ihm angetan. Sie ist auch die "Stella" aus den Gedichten dieser Zeit. Aber der alte Nast hütet sie wie seinen Augapfel - er kennt seine Pappenheimer.
Sie verheimlichen ihre Treffen und erst als Hölderlin mit Immanuel Nast, Louises Cousin, Freundschaft schließt, kann er sich auch in der Familie vorstellen. Hölderlin macht Eindruck, er ist als Dichter schon bekannt und es kommt zu einem offiziellen Verlöbnis mit Louise.
Immanuel Nast bleibt sein bester Freund in den Maulbronner Jahren. Er stammt aus der ärmeren Linie der Familie und ist Schreiber in Leonberg. Die beiden Freunde verbindet die Begeisterung für die Dichter des "Sturm und Drang", wie die Zeit von 1750 bis 1789 bezeichnet wird. Die Werke von Klopstock, Schiller und Schubart diskutieren sie stundenlang.
Beide Verbindungen brechen ab, als Friedrich nach Tübingen geht. Das Verlöbnis mit seiner ersten großen Liebe Louise wird 1790 aufgehoben und Immanuel wird er vergessen.
Studienzeit im Tübinger Stift
1788 übersiedelt Friedrich in das evangelischen Stift am Klosterberg in Tübingen. Hier warten neue Freunde auf ihn - der junge Hegel aus Stuttgart zum Beispiel. Mit anderen Studenten schließen sie sich zu einem Dichterbund zusammen - Pfarrer zu werden, wie es seine Mutter inständig hofft, kann er sich immer weniger vorstellen.
Zu sehr drängt es ihn als Dichter Ruhm zu ernten und das gelingt ihm auch. Seine ersten Veröffentlichungen fallen in die Tübinger Zeit - 1791 gibt sein Studienkollege Stäudlin einen "Musenalmanach" heraus in dem er vier Gedichte Hölderlins abdruckt. Ein Jahr zuvor ist auch der "Kloine" aus der Lateinschule nach Tübingen gekommen; Schelling, gerade fünfzehn Jahre alt, wird sofort von den Freunden aufgenommen.
Tübingen im 18. Jahrhundert
Es ist die Zeit der französischen Revolution und Tübingen mit seinen knapp 6000 Einwohnern ein "verschlafenes Landstädtchen" wie Peter Härtling schreibt. Die heutigen Stadtteile Lustnau und Derendingen sind Dörfer weit außerhalb der Stadt. Die Wilhelmstraße und die Kliniken im Tal existieren noch nicht, die Stadt hört am Neckar, am Haagtor und am Stadtgraben auf.
Rundherum liegen Weinberge, Wiesen und Äcker. Diese werden von den Bewohnern der Unterstadt, den Gôgen und kleinen Handwerkern, bewirtschaftet. Hier, in der Ammergasse, an der Krummen Brücke und in der Metzgergasse ist es eng, schattig und feucht. Professoren, wohlhabende Bürger und herzogliche Beamte wohnen weiter oben, in der Oberstadt am Schloßberg und an der Neckarhalde.
Die alte Ordnung wird aufrecht erhalten, ist aber schon brüchig geworden. Viele Studenten und Teile des Lehrpersonals begrüßen insgeheim die Revolution in Frankreich, die 1789 wie eine Naturkatastrophe über das absolutistische Europa hereinbricht.
Der Virus von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Es bilden sich geheime, revolutionär gestimmte Jakobinerzirkel und der Virus von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit breitet sich rasend schnell auch in Württemberg aus. Stäudlin beschreibt es sehr treffend: "Gewiß ist, das es unseren hohen Häuptern vom Kaiser bis zum Bürgermeister von Reutlingen herunter gewaltig bange ist und das sie entgegen arbeiten, ohne zu wissen, wie sie´s eigentlich angreiffen sollen".
Eine kleine Gruppe von Studenten tut sich besonders hervor; es sind die "Mömpelgarder" - junge Leute aus der württembergischen Enklave im französischen Jura - sie versorgen die Tübinger immer mit den neuesten Nachrichten aus der jungen Republik.
Furcht vor Denunzianten
Der Dichterbund um Friedrich Hölderlin hält sich zurück, in solchen Zeiten stehen auch die Spitzel und Denunzianten bei den Behörden des Herzogs hoch im Kurs.
Ein Jahr bevor Hölderlin sein Studium abschließt, 1792, kommt es zum ersten Revolutionskrieg zwischen der französischen Republik und einer Koalition aus Österreich, Preußen und einigen deutschen Kleinstaaten.
Dieser Krieg kommt Tübingen bedenklich nahe. In Hirschau und Rottenburg sind Truppen stationiert - der halbe Südwesten gehört zu Österreich. Auch französische Einheiten sind vor Ort, zum Leidwesen der Tübinger Studenten bestehen diese aber aus "Fürstenknechten und Verrätern", also Resten der Armee Ludwig des XVI., die auf Seiten der Koalition gegen ihre Landsleute kämpfen.
Für Friedrich Hölderlin sind das alles nur Episoden, viel wichtiger in seinem letzten Studienjahr 1793 ist für ihn der Kontakt zu Friedrich Schiller und seine Freundschaft mit Isaac von Sinclair, einem Jurastudenten aus Homburg. Beide, Schiller und Sinclair, werden für sein Leben nach dem Abschied vom Neckar bestimmend werden.
Quellen:
Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Auflage 1977, Mannheim, Band 12 Seite 181ff
Peter Härtling: Hölderlin, Ein Roman. Luchterhand Verlag Darmstadt 1976
Die Hölderlin-Gesellschaft Tübingen